Mahnung aus der Vergangenheit - aktueller denn je

Am 20. Mai 1945, nur wenige Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, beginnt Johann Schlotmann – ein ehemaliger Soldat der Deutschen Wehrmacht – damit, seine Erlebnisse des
letzten Kriegsjahres in einem kleinen Tagebuch festzuhalten.
Zu diesem Zeitpunkt befindet er sich in amerikanischer Kriegsgefangenschaft im norddeutschen Giddendorf, umgeben von der erwachenden Frühlingsnatur – ein beinahe friedliches Bild, das in starkem
Kontrast zu den Erinnerungen steht, die er notiert.
Was Johann Schlotmann niederschreibt, sind keine Heldengeschichten. Es sind ehrliche, oft erschütternde Schilderungen eines Soldaten, der den Krieg aus nächster Nähe erlebt hat: sein Einsatz in
der Ukraine, der verlustreiche Rückzug durch das Baltikum und schließlich das bittere Ende in Ostpreußen. Dort wird er Zeuge des ganzen Ausmaßes an Zerstörung, menschlichem Leid und moralischer
Verrohung, das der Krieg hinterlässt.
Johann Schlotmann schreibt nicht, um sich selbst darzustellen oder Mitleid zu wecken. Er schreibt in der Hoffnung, dass seine Aufzeichnungen mahnen und erinnern – als Warnung vor dem, was
geschieht, wenn Menschlichkeit und Vernunft verstummen. Seine Zeilen zeigen eindrücklich, wie grausam und sinnlos jeder Krieg ist – unabhängig von Ort, Zeit oder beteiligten Parteien.
Heute, 80 Jahre später, sind seine Worte aktueller denn je. In einer Welt, die erneut von Kriegen, Flucht und Gewalt geprägt ist, erinnert uns sein Tagebuch daran, wie schnell Frieden verloren
gehen kann – und wie kostbar und schützenswert er ist.
Wir danken Ludger Schlotmann und Margret Hellbernd, den Kindern von Johann Schlotmann, herzlich dafür, dass sie dem Heimatverein Bakum vor wenigen Wochen die Aufzeichnungen ihres Vaters
zur Verfügung gestellt haben.
Mit dieser Veröffentlichung schließen wir unsere Reihe über die Kriegserlebnisse von Zeitzeugen aus der Gemeinde Bakum anlässlich des 80. Jahrestages der Beendigung des Zweiten Weltkriegs in Europa ab – in Dankbarkeit gegenüber jenen, die ihre Erinnerungen mit uns geteilt haben, und in der Hoffnung, dass ihre Stimmen nicht ungehört bleiben.
Johann Schlotmann wurde als viertes Kind von sieben Geschwistern (zwei Mädchen und fünf Jungen) am 02. Januar 1915 in Lüsche geboren.
Seine Eltern waren Georg Schlotmann und Maria Schlotmann geb. Ording. Sein Vater war über die Grenzen von Lüsche als sogenannter Kuhdoktor sehr bekannt.
Nach dem Krieg heiratete er am Donnerstag 10. Oktober 1946 die Zimmermannstochter Johanna Witte aus Lüsche. Er zog zu ihr und den noch im Hause lebenden drei Geschwistern (Josephine, August u.
Ferdinand Witte) in die Heuerlingsstelle Lohmann am heutigen “Rosengarten“. Dieses Anwesen war beim Angriff auf Lüsche am Freitag 13. April 1945 ein Raub der Flammen geworden. Durch viele
Eigenleistungen konnte das Haus wieder aufgebaut werden.
Nach Kündigung verließen Johann und Johanna Schlotmann mit ihren vier Kindern (Ludger, Agnes, Margret und Erika) im Jahre 1958 die Heuerlingsstelle.
Das in den zwei Jahren zuvor neu errichtete Eigenheim mit Stallungen, heute “Im Ströen 10“, wurde daraufhin bezogen.
Johanna Schlotmann geb. Witte starb bereits am 05. Juli 1968. Johann Schlotmann lebte bis zu seinem Tode am 10. November 1994 in der Familie seiner Tochter Margret mit Ehemann Josef Hellbernd und
den vier Kindern.

Grundlage dieser Niederschrift ist ein kleines Notizheft im A6-Format, das unser Vater Johann Schlotmann in Deutscher-Schrift in seiner Gefangenschaft
niederschrieb. Seine Enkelin Maria Hellbernd aus Lüsche nahm die Aufarbeitung dieses Notizheftes in Angriff.
Um den Charakter der Niederschrift zu wahren, wurde weitgehend der originale Wortlaut übernommen.
An der Übersetzung von der Deutschen-Schrift ins Lateinische waren folgende Personen beteiligt:
Georg Schlotmann Bakum, Margit Schlotmann Bakum,
Maria Hellbernd Harme, Maria Thölking Lüsche
Zusammenstellung und Druck: Ludger Schlotmann Dinklage
Lüsche, im Januar 2008
Pfingsten am 20.05.1945
Giddendorf, ein kleiner Ort in Holstein nicht weit von der Ostsee ist nun seit einer Woche unser Aufenthaltsort, wo wir mit etwa 1000 Landsern (Soldaten) unser Dasein als Internierte fristen. Auf
dem Boden eines Viehstalles findet man unser Lager, wo wir mit etwa 80 Mann der Hundertschaft 4 von der Marschgruppe X=10 uns besonders bei Nacht zusammenfinden. Der Krieg hat nun auch endlich
für uns sein Ende gefunden und wenn mir auch der Magen knurrt, so sind wir alle froh, daß es nicht mehr schießt und wir nicht dem Iwan noch in die Hände fielen, sondern dem Engländer uns ergaben.
Die größte Sorge ist bei allen die Frage, was wird man mit uns machen? Kommen wir doch nicht bald nach Haus? Von wenigen kleinen Appellen der Ausrüstung abgesehen, bietet uns sonst die Langeweile
viel Gelegenheit zum Grübeln und eine Parole nach der anderen läuft von Mund zu Mund, doch Wahres wird noch keiner wissen. Heute an einem so schönen Pfingstabend treibt mich die Langeweile zu
einem kleinem Spaziergang heraus in Richtung Oldenburg ( Holstein). Am Wegesrand im schönen Grün lasse ich meine faulen auch wohl etwas matten Knochen nieder und beginne nun eben diesen Bericht
zu schreiben, um mich eben auf eine Art zu beschäftigen. Nach einer kurzen Überlegung will ich nun versuchen im Laufe der nächsten Tage im Großen gesehen einen Erlebnisbericht des letzten
vergangenen Jahres niederzuschreiben, wofür vielleicht noch ein anderer auch sein Interesse finden wird. Am 27. April des vorigen Jahres (1944) fand meine Entlassung als fünfter
Sohn durch Einberufung wieder ihr Ende und in Bremen zog ich wieder den grünen Rock an. Nachdem ich dort ein paar Wochen bei der Marschbatterie ein entsprechend gutes Leben hatte, führte mich am
7. Juni 1944 der Weg wieder zur Front in die Gegend von Tarnopol (Tarnopol ist eine Stadt im Westen der Ukraine und befindet sich 132 km entfernt von
Lemberg).
Nachdem wir zehn Tage auf der Bahn verbrachten, gelangte ich unter anderem am 17. Juni 1944 zur 4/WR81, die zurzeit zwischen Tarnopol und Lemberg in einer vielseitig ausgebauten
Bunkerstellung lag.
Als Werferführer fand ich dort bald meine guten Kameraden, besonders trat dort die Kameradschaft mit meinem Heimatkumpel Walter Schade aus Essen (Oldenburg) zu Tage.
Als besonderes Erlebnis dort entsinne ich mich der Überschwemmung unserer Bunker und Laufgräben, bei einem starken Gewitter. Teils füllten sich die Bunker bis oben an und viele Sachen schwammen
im Wasser, auch unsere kleine Batterieziege ließ dabei im Bunker ihr Leben. Außer etwas Störungsfeuer ließ dort der Ivan uns sonst beim reichlichen Schanzen und etwas Fußdienst unsere Ruhe, die
aber am 13.07.1944 durch seinen Großangriff ihr Ende fand und eine böse Zeit folgte dann durch den weiten Rückmarsch in der Ukraine, wo Lemberg schon gleich fiel . Noch nie erlebte
Fliegertätigkeiten machten uns besonders täglich die Gegend zur Hölle. Fast täglich mußten wir uns absetzen, und von einem kleinen Kessel kamen wir in den anderen. So manches gegrabene
Deckungsloch schützte uns vor den feindlichen Granaten und Bomben und gab uns nur noch selten Gelegenheit zur wohlverdienten Ruhe. Wenn auch die Ausfälle bei uns entsprechend gering waren, so war
der 30.07. doch ein besonders schwarzer Tag für unsere Batterie. Die Ausfälle der nächsten neun Tage mit eingerechnet verlor allein unsere Batterie in diesen zehn Tagen 42 Mann, darunter unser
guter Chef Hauptmann Sandmann. Novo-Oschritzig (Ort in den Karparten) hieß der Ort, wo wir am 30.07.1944 mit unserer Batterie in den Karpaten abends
vom Ivan eingeschlossen waren. Nach schwerem Artilleriefeuer über den ganzen Tag, wo wir an der Kirchenmauer Schutz suchten, stürmte dann abends mit Hurra der Ivan den so schwach besetzten Ort.
Wenn auch zunächst noch der Kampf besonders mit den Werfern im direkten Beschuß aufgenommen wurde, so mußten doch bald alle ihr Heil in der Flucht suchen durch einen Bach. Dann über die Karpaten,
wo der einzige Weg zu Fuß noch möglich war. Feindliches Feuer aller Kaliber deckten uns ein und viel Glück hatten alle, die noch heil durchgekommen sind. Zu diesen zählte ich auch, wenn es auch
bis zum Bauch durchs Wasser ging.
Als wir die erste Deckung im Wald am steilen Gebirge gefunden hatten, sammelten sich schon einige Verwundete, die unsere Hilfe dringend benötigten und zum Glück war auch unser Sanitäter bei uns. Teils ziemlich starke Arm- und Beinverwundungen wurden flüchtig mit dem wenigen Verbandsmaterial verbunden und unter starken Schmerzen konnten aber alle noch laufen, wenn sie auch teils von gesunden Kameraden unter die Arme gefaßt werden mußten. Teils schleppte man sich noch mit rasch mitgenommenen Klamotten herum. Wohl alle schnappten mit aufgesperrtem Mund nach Luft, denn wir hatten schon ein gutes Stück im felsigen Gelände in größter Eile zurückgelegt. Der Ivan legte aber schon gleich sein starkes Artilleriefeuer in den Wald und weiter war nur noch unsere Rettung. Nun aber hieß es, steile Hänge und tiefe Täler zu überwinden und besonders für die Verwundeten begann eine schreckliche Nacht. Ein Marschkompaß zeigte uns den Weg durch das Dickicht des Waldes. Unserem verwundeten Leutnant, der sich im Wald zu uns gefunden hatte, war die große Lage bekannt und ihm verdankten wir später unsere Rettung vor dem Ivan. Gegen zwei Uhr nachts wollte es wirklich nicht mehr weiter und wir machten eine Pause. Ein guter Kamerad fand einen Ort und besorgte inzwischen ein Fahrzeug von einem Bauern, wo wir dann doch die Verwundeten aufladen konnten. Mit durchnassen Klamotten und steif gewordenen Gliedern ging es weiter und in der Morgenfrühe kamen wir zu einem Ort, wo gerade der Ivan Einzug halten wollte. Die letzte Paksicherung (Panzerabwehr) trafen wir noch gerade an und wir waren alle froh, wirklich wieder die deutsche Linie erreicht zu haben. So ging es dann mit unserem Treck Kilometer um Kilometer, teils schon wieder unter Beschuß weiter, bis wir gegen neun Uhr die Rollbahn erreichten und dort nach etwa sechs Kilometern ein HVP (Hauptverbandsplatz) war, denn die Verwundeten hatten teils unter viel Blutverlust wirklich genug erlitten. Auf dem Wege nach dort trafen wir ein Fahrzeug von unserer Einheit, welches Munition fuhr. Von diesem Fahrer durften wir uns erzählen lassen, daß der Ort von dem wir geflüchtet waren später wieder von deutschen Panzerkräften eingenommen und sogar unsere Fahrzeuge und Werfer unbeschädigt herausgeholt wurden.
Nachdem die Verwundeten abgeliefert waren machten wir uns wieder zu unserer Einheit. Die Fahrzeuge mit unserem schon längst aufgegebenen Gepäck fanden wir wieder vor, doch die Kameraden waren so
recht wenig geworden. Von einer anderen Einheit, die ihre Geschütze verloren hatten, kamen neue Leute zu uns und in wenigen Stunden ging es schon zum neuen Einsatz. So nahm dann das alte Leben
mit hartem Kampf und oft größeren Absatzbewegungen seinen Fortgang wieder. Nach Südwesten mußten wir immer weiter ausweichen bis wir über Stryje (Stadt in
Mittelpolen) sogar bis in die Slowakei gelangten. So verließen wir dann diesen Abschnitt und machten im großen Bogen nach Westen dann nach Norden herauf. So gelangten wir dann bald
zum Weichselbrückenkopf, von wo mir die Stadt Radom (Radom ist Stadt in Mittelpolen, rund 100 km südlich von Warschau) noch in Erinnerung ist.
Dort nahmen wir dann an einem Gegenangriff teil, wo wir uns nach Westen über die Weichsel durchkämpften. Schon auf der großen, wiederholt zerschossenen und wieder aufgebauten Weichselbrücke
wurden wir von starkem Pakbeschuß empfangen. Besonders ernst war die Lage dort für uns in den nächsten Stunden, so daß wir wiederholt zum Gewehr greifen mußten um unsere Werferstellung zu
verteidigen. Unsere Panzer und Sturmgeschütze waren dann wieder unsere Rettung, die vorgerollt kam. So manche Granate verließ dort in den nächsten Tagen unsere Werfer und der Erfolg blieb nicht
aus, so daß wir langsam wieder vordringen konnten. Der Ivan machte es uns allerdings nicht leicht, sondern seine vielen Granaten und Bomben brachten uns auch dort ihr Unheil. Nachdem man uns dort
wohl nicht mehr so dringend brauchte, wurden wir nach ein paar Tagen zurücktransportiert und auf der Bahn verladen, mutmaßlich wohl aus Benzinmangel. Nach einer guten Tagesreise mit der Bahn
wurden wir dann in Stasilsk (Stadt in Estland am Fluß Narva) wieder ausgeladen. Am nächsten Tag wurden wir dann dort am Narwabrückenkopf zur
Sicherung eingesetzt, da man wohl mit einem weiteren größeren Angriff vom Ivan rechnete.
Dieser blieb aber zum Glück aus und bei uns wurde mal wieder reichlich gebuddelt. Bald bauten wir uns dann auch wohnliche Bunker, wozu aus einem nahegelegenen Ort alles mögliche Material
herangeschleppt wurde. Auch ich durfte bald in einem schönen Bunker mit meinem Kamerad Pinkol wohnen. Wir bauten uns auch einen schönen Ofen, denn inzwischen war es schon recht kühl geworden.
Leider hatten wir aber nicht lange Freude daran, als von unserer Seite ein Angriff startete. Besonders viele schwere Waffen hatte man unsererseits aufgefahren und der erste Feuerschlag war
ungeheuer wie ihn wohl noch keiner von uns erlebte. Unter diesem schrecklichen Trommelfeuer ging der Ivan dann auch stiften, so daß wir bald am Boden gewannen. Wenn auch am nächsten Tag unser
Angriff in starker Form weitergeführt wurde, so hatte doch der Ivan sich bald zu Gegenmaßnahmen konzentriert. Besonders stark war sein Einsatz an vielen Flugzeugen. Wie die Bienen schwirrten die
feindlichen Schlachter in niedriger Höhe zu Hunderten über uns und brachten mit tausenden von Bomben und sehr starkem Bordwaffenbeschuß so manches Verderben in unseren Reihen. Wenn auch der
feindliche Brückenkopf sehr stark eingeengt war, so wurde er doch nicht mehr ganz beseitigt und unsererseits ging man wieder zur Verteidigung über.
In der letzten Feuerstellung dort am Narwabrückenkopf kam dann der Leutnant Heindrichs als Ersatz von Deutschland zu unserer Batterie. Dieser wurde dann bei uns Batterieoffizier, denn in letzter
Zeit waren wir neben den Mannschaften nur noch mit zwei Uffz. (Unteroffizier) in der Feuerstellung. Unerwartet wurde ich am nächsten Tag zu einem Vorkommando bestimmt und gegen Mittag verließen
wir mit vier Mann die Batterie und fuhren mit einem PKW zurück. Der neue Leutnant führte uns und als wir unterwegs wiederholt den Wagen mehr wie schnell verlassen mußten wegen feindlicher
Flugzeuge und Artilleriefeuer und wir in den nächsten Gräben oder Löchern Deckung suchten, bedauerte der Leutnant, daß er die Hände dreckig bekommen hatte, womit er wohl seine wenigen
Fronterfahrungen bewies.
Mehrere Kilometer zurück suchten wir einen Bereitstellungsraum. Über Nacht setzte sich unsere Batterie auch von der Front ab und kamen nach dort von wo wir am nächsten Tag wieder auf die Bahn
verladen wurden. So waren wir dann wieder ein paar Tage auf Reise, wo wir über Thorn (Thorn war lange polnisch und gehörte von 1939 bis 1945 zum Deutschen
Reich) durch Ostpreußen zur litauischen Grenze und zur neuen Front gelangten. Wo man uns meist schon brauchte war dicke Luft in Sicht und keiner von uns hat damals wohl geahnt was
diese Gegend für uns bringen würde. Als wir ein paar Tage fleißig mit Bunkerbau beschäftigt waren um Schutz zu finden, verstärkte sich das feindliche Feuer plötzlich zum Trommelfeuer und der Ivan
trat zum Großangriff an. Ein paar Kilometer rechts von uns brach er bald durch und um nicht abgeschnitten zu werden mußten wir uns nachts absetzten, wo wir durch eine enge feindfreie Gasse noch
heraus kamen. Durch hell brennende Orte unter starkem Bombenhagel von den feindlichen Nachtbombern die als Nachteulen , Nebelkrähen , Rollbahnhuren, Nähmaschinen oder noch anderen schönen Namen
so für jeden Ostfrontkämpfer bekannt waren, mußten wir dann leider über die Grenze zurück und bezogen die erste Feuerstellung auf deutschem Boden. Am anderen Morgen mußte sich unsere Infanterie
bald nach starkem Trommelfeuer wieder absetzen und bald stand der Ivan vor unseren Feuerstellungen, wo wir sie in direktem Beschuß bekämpften. Hier galt es deutschen Boden zu verteidigen und nun
wurde bis zum letzten gehalten. So ging es dann fast täglich und ein Tag war für uns schrecklicher als der andere. Verluste an Menschen und Material blieben in dem starken Feuer nicht aus und
glücklich waren alle die immer mal wieder in letzter Minute gesund herauskamen.
Eine schöne Stadt nach der anderen wie Wirballen (Stadt in Litauen an der russischen Grenze), Eydtkau (Grenze in
Litauen zu Ostpreußen) , Ebenrode (in der Nähe von Königsberg, heute Kaliningrad) und so viele andere gingen besonders unter den
schweren Bomben der zweimotorigen amerikanischen Flugzeuge in Trümmer und in Flammen auf.
Die Lage erschwerte noch ein Munitionsmangel bei uns, da angeblich ein Munitionszug mit allein 10000 Schuß Werfermunition zum Ivan herübergefahren sein sollte, da der Führer des Zuges wohl nicht über die zurückgenommene Front unterrichtet war. Einem jeden Deutschen hat wohl das Herz im Leibe weh getan, der mit ansehen mußte, wie so viele große Güter, Bauernhöfe und reichlich aufgestapelte Verpflegung dem Ivan in die Hände fielen. Bauernhöfe und Güter mit vielem besten Vieh aller Art, Maschinen und Wohnungen mit allem was man sich dort nur denken kann, mußten so oft zurückgelassen werden. Leider blieben in den hart umkämpften Gebieten nur wenige Häuser von der Zerstörung verschont. Verpflegungslager, wie sich Unkundige nicht vorstellen können, wie aufgestapelte Kisten in 4-5 Meter Höhe in langen Hallen mit den schönsten Infanteriepäckchen, Schokolade, Keks oder viele andere schöne Sachen, dann Zigarren und Zigaretten zu Millionen, wo anders viele große Fässer mit guter Butter oder Speck, Wurst, Mehl, Öl und was es sonst noch alles war, wurde eines nach dem anderen gesprengt und angesteckt. Nur selten wurde es den zurückflutenden Soldaten erlaubt etwas mitzunehmen, höchstens in den letzen Minuten wo der Ivan bald vor der Tür stand. So kam es, daß vereinzelt mal einige Kisten unter schon stärkerem feindlichen Beschuß von der großen Masse geborgen wurden, die dann zur Verteilung kamen und mit vielen Malen eine Befriedigung im Essen oder Rauchen gab, daß sich ein Rückmarsch eben in jeder Beziehung im Nachteil auswirkt, wurde uns auf dem ostpreußischen Kriegsplatz mal wieder besonders stark vor Augen geführt. Der Rückmarsch nahm im großen Ganzen seinen Fortgang. Wenn auch mal hier oder dort ein paar Tage harter Widerstand geleistet wurde, so folgte meist bald ein fast katastrophaler Rückmarsch, um nicht vom Ivan abgeschnitten und eingekesselt zu werden. Größere Reparaturen konnten wegen der Eile im Allgemeinen nicht durchgeführt werden und ein gutes Fahrzeug oder ein Werfer nach dem anderen wurde in die Luft gesprengt. Nicht selten mußte dieses geschehen, nur aus Benzinmangel. So kam es dann, daß die Einheiten immer mehr zusammenschmolzen und von unserer Abteilung blieb nur noch eine kleine Batterie mit ein paar Fahrzeugen übrig.
Die Leute konnten längst alle nicht mehr gefahren werden und eine Marschbatterie wurde aufgestellt, die dann von einem Stellungswechsel zum anderen zu Fuß folgen mußte. Zu dieser durfte auch ich dann zählen. Oft wenn wir am Bestimmungsort anlangten, war die Batterie schon längst wieder weiter und ihr Ziel war unbekannt. Nicht selten wurde dann auf gerade wohl losmarschiert und tagelang nach der Einheit gesucht. Nach dem letzten längeren Marsch fanden wir unsere Batterie wieder in der Nähe von Königsberg (. Kurz vor Königsberg (das heutige Kaliningrad gehört zum russischen Teil von Ostpreußen) führte uns der Weg mal wieder an einem großen Verpflegungslager vorbei. Nachdem wir uns noch schnell jeder ein paar tausend Zigaretten und ein paar Schachteln Schokolade oder noch etwas andere Süßigkeiten, die wir auf längerem Fußmarsch eben nur tragen konnten, sicherten, ging gleich hinter uns das große so reichlich voll gestapelte Lager in Flammen auf. Trotzdem der Ivan erst den anderen Tag dort wohl ankam. Die guten Zigaretten waren nach mehreren Wochen für uns neben den anderen Rauchwaren eine gute Zugabe. Im Vorort von Königsberg, in der Brauerei Pomath hielten wir uns dann mit unserer Marschbatterie ein paar Tage beim Abteilungs-gefechtsstand auf, wo wir neben den Zivilisten in einem Keller hausten, denn der Ivan hauste mal zeitweise ganz bedenklich. Um noch Platz zu schaffen, mußten wir abwechselnd Kohlenkeller ausräumen. Dort wurde dann ein großer Teil der Marschbatterie wieder an andere Batterien verteilt, die inzwischen in Königsberg aus einigen kaputten Fahrzeugen und Werfern etwas Gangbares wieder gemacht hatten. Nach ein paar Tagen verließen dann die Werferbatterien mit Ausnahme von einer, Königsberg. Wie uns schon bekannt war, hatte der Ivan bereits Königsberg eingeschlossen. Durch mehrere Gegenstöße war es abwechselnd schon mehreren Truppen gelungen den Weg somit wieder aufzuschlagen, daß es möglich war, meist direkt am Strand des frischen Haffs meistens im Schutz des Ganges durchgekommen.
Dieses wurde darum auch von uns versucht. Wenn wir auch wiederholt wegen stärkerem Beschuß Deckung suchen mußten und die feindliche Infanterie nun mit ihrer Spitze etwa hundert Meter vom Wasser
oder vielmehr vom Eis entfernt lag, so gelang es uns doch gegen Abend glücklich durchzukommen. Im Ort Heidewaldburg (Dorf in Ostpreußen Kreis
Samland) bezogen wir dann über Nacht wieder Feuerstellung mit unserer Batterie, zu der ich unterwegs am Ausgang von Königsberg wieder zugeteilt war. Am anderen Morgen startete dann
von unserer Seite ein Angriff, um eine breitere Gasse und Königsberg wieder zum größeren Kessel frei zu schlagen.
Dem Ivan fehlte es dort aber nicht an starken Kräften und mit Schrecken kann man nur an den Tag zurückdenken in was für einem Feuer wir dort standhielten. Am Abend des zweiten Tages konnten wir
unsere Werfer nur noch im Handzug in Sicherheit bringen, weil im Gegenteil der Ivan nähergekommen war und einsehen konnte. So machten wir dann über Nacht längs des Haffs Stellungswechsel. Dort
waren wir dann nur noch ein paar Tage, als man uns dann in einem Abschnitt an die andere Seite des Kessels nach Braunsberg (liegt 6 km an der Grenze zum
russischen Teil von Ostpreußen) verlegte. In der Nähe von Bauernhöfen bezogen wir meist unsere wiederholt zurück genommene Feuerstellung. Wenn der feindliche Beschuß für uns auch
wirklich genug war, verlebten wir dort entsprechend gute Tage. Da es besonders an Eßwaren dort noch reichlich gab. Der Ivan hatte vom großen Kessel mal wieder einen kleinen abgeschnitten und
unter anderem fiel ihm die Stadt Frauenburg (heutige Frombork liegt im polnischen Teil von Ostpreußen und ist bekannt durch Nikolaus
Kopernikus) in die Hände. Wohl schon viele Soldaten und vor allem Flüchtlinge traten den Weg über die gefrorene Nehrung an. Mehrere Fahrzeuge brachen noch durch das Eis und
fanden im Wasser ihr Ende. Unerwartet wurde ich auch eines Tages von der Batterie zum Regimentsstab versetzt, als Führer einer bespannten Munitionskolonne. Wenn ich auch gerade nicht begeistert
darüber war, so mußte es eben gemacht werden. Neben mir war noch ein anderer Uffz. (Unteroffizier) da als Beschlagunteroffizier.
Über der bespannten und motorisierten Kolonne führte uns der Leutnant Kanitz. Zunächst waren erst nur ein paar Gespanne vorhanden. Doch von Zeit zu Zeit vergrößerte sich die Kolonne. Von
aufgeteilten bespannten Einheiten erhielten wir mehrere Gespanne. Unser Bestand war durchschnittlich 50 Zugpferde und zwei Reitpferde. Wenn man dort im allgemeinen nun auch nicht so nah beim Ivan
sein brauchte, so hatte dieses Leben bestimmt auch seine Nachteile. Wegen der fast immer am Tage starken Fliegertätigkeit mußte meistens bei finsterer Nacht gefahren werden. Nicht selten
herrschte ein fürchterliches Wetter mit Schnee oder Regen. Oft durchnaß fand man dann in den Scheunen oder Ställen einen Unterschlupf ohne Feuerung, so daß oft die Sachen am Körper nicht mal bei
kälterem Wetter während der Ruhe auftauten. Am schwersten war immer die Lage für uns, wenn stärkeres Tauwetter einsetzte und alle Feldwege durch den starken Verkehr grundlos wurden. Die meist
kleinen mageren Pferde, die leider zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel Futter bekamen, zogen stellenweise kaum noch den leeren Wagen. So blieb es nicht aus, daß mehrere Fahrzeuge im
Schlamm mit der schwereren Munition stecken blieben.
Dazu waren die Straßen dann auch oft von anderen Truppen aller Art derart verstopft und nicht durchzukommen. Mehrere Nächte durfte man nur so dem Winterwetter ausgesetzt oft bis zu den
Knien im Dreck, die Schuhe voller Wasser, auf den Straßen verbringen, um mit vielleicht seinen zwanzig Gespannen Munition zu den Feuerstellungen vorzudringen. War der Ivan mal wieder überraschend
vorgedrungen und die Batterien hatten die Munition beim Stellungswechsel nicht alle mitnehmen können, so durften wir wiederholt nahe der HKL (Hauptkampflinie) noch die Munition herausholen.
Vereinzelnd wenn die Lage es dringend erforderte, mußten wir auch bei Tag unter stärkster Fliegertätigkeit fahren. Allein von einer Fahrt, die ich mit siebzehn Fahrzeugen machte, durfte ich noch
sieben heil zur Unterkunft führen.
Bei anderen Gelegenheiten durfte ich es dreimal erleben, daß ein oder beide Pferde vor den Wagen kaputt geschossen wurden, wo ich mit auf dem Wagen war. Das Glück ohne Verwundung davongekommen,
blieb immer wieder hold. Mein bester Kamerad Walter Schade aus Essen (Oldenburg), wurde nun Mitte März in dem Ort Lang bei einem Stellungswechsel durch Granatsplitter arg am Hinterkopf verwundet
, wie ich mir am nächsten Tag von Kameraden erzählen lasen mußte. Zum Glück behielt er angeblich guten Verstand und wurde zum HVP (Hauptverbandplatz) gefahren. Der Ivan hatte nun wieder mit
stärkeren Kräften auch unseren Kessel endgültig zu vernichten, vor. Keiner von den so vielen Soldaten in diesem Kessel hat zu jeder Zeit ahnen können, was ihm in den nächsten Tagen und Wochen
bevorstand. Wohl kaum einer von ihnen hat eine bösere Zeit erlebt, als dort dann anbrach. Der Kessel wurde nach den blutigsten Kämpfen von Tag zu Tag kleiner und unübersehbare Truppenmassen
drängten sich am Haff bei Balga (ist der Name einer Burg) und Kahlholz (Kahlholz ist ein Ort im Kreis
Heiligenbeil im russischen Teil von Ostpreußen) zusammen. Wie auf einem Jahrmarkt waren nun dort bald viele Tausende von Soldaten auf kleinem Raum zusammengedrängt. Eine Unmenge
Fahrzeuge aller Art waren dort eins neben dem anderen aufgefahren. Dazwischen war bald Deckungsloch an Deckungsloch gegraben, wo jeder Tag und Nacht fast Deckung suchte. Granaten aller Art
und besonders die tausenden von Bomben brachten stündlich Tod und Verderben in den zusammengedrängten Massen. Mit unmenschlicher Härte mußten die zur Infanterie versetzten Soldaten am Feind
aushalten und bald wurde Meter um Meter gekämpft, doch unser Raum wurde immer kleiner. Zunächst hatte man nur laufend Verwundete mit Schiffen übers Haff geschafft, welche täglich einige Tausend
erreichten.
In der bedrängten Lage schiffte man dann bald auch Truppen herüber. Wie wir beim Regimentsstab, so waren viele Soldaten damit beschäftigt, am Strand Flöße zu bauen, womit man über das Haff nach
Pillau18 schwimmen wollte. Der steile Hang am Haff, der etwas mehr Schutz bot, wimmelte bald von Menschen kilometerweit, so daß man bald auf jedem qm (Quadratmeter einen Mann rechnen konnte.
Unvergeßliche Tage werden diese für jeden geworden sein, der diese Hölle miterleben mußte. In Massen waren dort, besonders auch nachts, die Nachtbomber (Nachteulen) vertreten. Eines Abends mußte ich mal in Balga nach einem hängengebliebenen Fahrzeug von uns suchen, wo ich im Bombenhagel einen besonders schrecklichen Anblick bekam. Viele Häuser, Fahrzeuge in langen Reihen brannten hell in die finstere Nacht. Viele große und kleine Fahrzeuge hatten Volltreffer bekommen und lagen im Rücken kreuz und quer auf der Straße. Viele große Bombentrichter versperrten die Straße. Zwischen dem Prasseln der vielen Feuer klang das Heulen und Jammern der vielen Verwundeten, die alle nach Hilfe schrien. Wegen Platzmangel baute man bald die Feuerstellungen zwischen den tausenden von Fahrzeugen und Menschenmassen auf, um bald die letzte Munition zu verschießen. So wie unsere Munitionskolonne sich bald auflöste, durch Ausfälle, besonders an Pferden und durch Abgabe von Gespannen, an die, welche zur Infanterie kamen, so lösten sich viele bespannte Einheiten auf, die auch zum Teil schon nach Pillau (Pillau war der Seehafen von Königsberg) verschifft wurden. Wo die vielen Pferde nicht schon durch feindliches Feuer umgekommen waren, hatte man sie stellenweise zu Hunderten erschossen, damit sie nicht dem Ivan blieben. Außerdem liefen noch so viele herum, teils schon stark verwundet, die alles Mögliche bei ihrem Hunger zu fressen suchten. Tausende von verwundeten Soldaten zogen einem nach dem anderen täglich am Strand den Verbandplatz zu. Viele nur als wandelnde Leichen zu betrachten, schleppten sich mit ihren oft schweren Verwundungen kilometerweit durch den Schlamm, um mit letzter Kraft noch längs des Strandes zum Verbands -und Verladeplatz zu gelangen. Hier und dort baute man noch aus allem eben Habhaft werdenden Material kleine Landungsstege ins Wasser hinaus, damit etwas größere Kräne anlegen konnten, denn wie im ganzen Haff war das Wasser in der Nähe des Strandes besonders floß (flach). Neben den vielen Verwundeten wurden nun , meist bei Nacht, größere Mengen von Truppen auf Schiffen verladen.
Die Schiffe brauchten nur 8 Kilometer zu fahren, bis zum nächsten Strand zur Nehrung.
Bei klarem Wetter konnte man Pillau gut über das Wasser des Haffs liegen sehen. Die Herren unseres Regimentsstabes hatten sich bald mit den gebauten Flößen auf Fahrt übers Wasser begeben. Als nun
die letzte Munition von den letzten wenigen Werfern verschossen war, sollten alle Werfereinheiten auch in der nächsten Nacht verladen werden. Neben uns glaubten dieses aber so viele Tausende von
ihrer Einheit. Drei volle Nächte stand man oder lag in Bombentrichtern in der Nähe des Landungsstegs und wartete mit unvorstellbarer Geduld, ob man zwischen dem oft fürchterlichen Gedränge von
Tausenden nicht selten fast bis zu den Knien im Schlamm nicht auch endlich mal auf einen Kahn komme, der einem zum Schiff bringen würde. Tagsüber war wegen Eisenhagel schon gar nicht an Ruhe zu
denken und nachdem ich drei volle Nächte hintereinander auch noch am Steg mit schwerem Gepäck auf der Schulter gestanden hatte, war ich immer noch dort, wo die Hölle los war. Dann schenkte uns
der Herrgott einen Tag Nebelwetter und die Schiffe konnten auch bei Tag fahren. Als mir nun im Laufe des Tages alle Bemühungen vergeblich blieben zu einem Schiff zu gelangen, entschloß ich
mich auch mit Klamotten auf einem Floß auf Leben oder Tod die Fahrt aufs Wasser anzutreten. Allmählich steckte man alle dort noch zur Verfügung stehenden Leute zur Infanterie in den Graben und
somit brauchte man sich beim Verladesteg schon gar nicht mehr sehen lassen, denn die Werfereinheiten waren sonst zum größten Teil fortgekommen. Die Infanterie bezog bei uns bereits die letzte
Stellung vor dem letzten Ort Kahlholz, als ich mit meinem Floß aus Brettern vom Lastwagen, darunter ein paar leere Benzinfässer mit noch vier Kameraden gegen 17.00 Uhr aufs Wasser ging. Langsam
ging es fort vom Land mit Stangen auf den Boden stoßend und mit Schaufeln Wasser schlagend. Zum großen Glück trafen wir nach einiger Zeit Schiffe an, von denen uns eins
mitgenommen hat und wir kamen nachts in Neutief (ist ein Vorort von Pillau) auf der Nehrung an.
Mehr wie glücklich waren wir dort alle, doch noch dem Ivan entkommen zu sein. Am anderen Morgen setzten wir wieder über nach Pillau, wo wir bald in einem Wald unsere Einheit wiederfanden. Von
dort ging es bald in einen Wald bei Blumenau (ebenfalls in der Nähe von Pillau), wo unsere Einheiten aufgelöst wurden. Denn weder Fahrzeuge noch
Werfer konnten übers Wasser mitgenommen werden. Die Herren der Stäbe verabschiedeten sich und die Leute wurden zu allen möglichen Einheiten versetzt. Ich hatte wieder das große Glück noch zu
einer Werfereinheit zu kommen, zu der mein Bruder Clemens vor etwa einem Jahr bis zu seiner Verwundung zählte.
Diese lag in Pillau, wohin wir wieder zurückmarschieren mußten. Vom Hafen Pillau schiffte man zu der Zeit im allgemeinem nur Flüchtlinge und Verwundete zum unbesetzten Reich oder nach Dänemark.
Einzelne größere Einheiten, wie die Division Hermann Göring verfrachtete man auch nach dem Reich. Wie bei Tag so doch wegen unserer starken Flakabwehr besonders bei Nacht lag der Hafen unter
feindlichem Bombenhagel. Wegen der starken Flakabwehr am Tag lag der Hafen besonders nachts unter feindlichem Bombenhagel. Nach ein paar Tagen fuhren wir dann längs der Nehrung wieder über
Fischhausen (befindet sich im nördlichen Ostpreußen im Samland mit der berühmten Bernsteinküste) zu neuem Einsatz. Nachdem wir mit reichlicher
Arbeit uns dort eine Stellung gebaut hatten, setzte der Ivan auch dort wieder zum größeren Angriff an und wieder tobte die schwere Schlacht um uns mit allem Schrecken. Schon am Abend des ersten
Tages mußten wir aus höchstbedrängter Lage Stellungswechsel machen. Mit einigen Leuten fuhren wir dann die ganze Nacht noch unsere Munition kurz hinter der Infanterie ab, zurück zur neuen
Feuerstellung. Als wir dann damit fertig waren, kam bald dort das erste Feuerkommando. Als wir zu den Werfern rannten, mußten wir mit Erstaunen feststellen, daß feindliche Panzer etwa 80-100
Meter vor der Feuerstellung standen. 16 Stück wurden noch gezählt, als wir bald einzeln durch Flucht uns retten konnten.
Werfer blieben stehen und von den drei Zugmaschinen kamen noch zwei zurück. Fluchtartig wurde so in ein paar Tagen das Samland geräumt und wir marschierten wieder nach Pillau. So begann dann der
harte Kampf auf der engen Nehrung. Von Pillau wurden wir nachts bald übergesetzt nach Neutief und wir machten täglich weite Märsche bis Kahlberg. Da wir eben inzwischen alle Fahrzeuge verloren
hatten, kamen wir zur Infanterie. Was dieses hieß, haben wir dann an den nächsten Tagen hart zu spüren bekommen. Oft Tag und Nacht im starken Regen durchnaß, sich mit dem Ivan herumzuschlagen im
starken Feindbeschuß, stellten höchste Anforderungen an uns alle. Glücklich alle, die dieses gesund überlebt haben. Der Ivan rückte langsam immer weiter, doch wir wurden endlich abgelöst und nach
einigen Märschen neben vielen auf ein Schiff verladen und kamen nach Hela (Stadt in der pormorskie Provinz). So viele tausende von Soldaten drängten
Kopf an Kopf dann dem Hafen mit größeren Schiffen zu. Zum großen Glück gelang es uns am Abend des 8. Mai 1945 bis zu den fast vollen Schiffen durchzukommen.
Mit einem so voll beladenen Zerstörer ging die Fahrt gleich los und da der Ivan schon mit Schnellbooten uns kapern wollte, ging es mit höchster Fahrt von 34 Meilen dem Kieler Hafen zu, was uns
Gott sei Dank gelungen ist. In dieser Nacht war dann Waffenstillstand. In Kiel empfing uns der Tommy, der uns dann auch nach Giddendorf befahl, wohin wir marschierten und am 13. Mai
angelangt sind.
Eutin, 15.06.1945
In Giddendorf haben wir nun bereits einen Monat verbringen dürfen. Die letzten vierzehn Tage bezogen wir Quartier im Viehstall des Ortsbauernführers Kripke. Die größte Sorge war wohl über die
ganze Zeit besonders die Verpflegung. Zeitweise wenn mal etwas zum Kochen dazu organisiert hatte, wie Steckrüben, Rote Beete, Grütze, Mehl oder wohl auch mal Milch, so wurde der Hunger neben der
wohl etwas wenigen kalten Verpflegung gestillt.
Hatte man mal das Glück, beim Bauern arbeiten zu dürfen und bekam dort reichlich Brotsuppe, so war das ein herrliches Gefühl mal einmal so richtig satt zu sein. Zu unseren Rauchwaren zählte auch bald alles Mögliche, wie Waldmeister, Kleeblüte usw., dies wurde fleißig geraucht. Außer einigen Kommandos, die bei den Bauern arbeiten durften, wurde von den übrigen wenig gemacht. Am 02. 06. begann dann endlich die Entlassung, wo die ersten zwei von uns Abschied nahmen. Am 08.06. sollte ich nun bereits mit noch zehn Mann entlassen werden, was sich wieder änderte und ich durfte noch 9 Tage weiter dort bleiben. Am 12.06.1945 hab ich dann mit noch fünf Kameraden Giddendorf verlassen und am Morgen ging der Marsch zur Entlassungsstelle los. Wir marschierten 18 Kilometer und verbrachten eine Nacht im Zwischenlager. Am 13. ging’s dann hier zum Entlassungslager in der Nähe von Eutin. Zunächst kamen wir hier ins Lager A, wo wir eine Nacht bei dem schlechten Wetter im Wald verbrachten. Am 14. ging es dann unter vielen nach Eutin zur Entlassungsstelle. Dort ging es dann durch so viele Abteilungen. Mehrere Bogen Papier wurden ausgefüllt. An einer Stelle mußten allein 28 Fragen beantwortet werden. Unter anderem wurden wir kurz untersucht, entlaust, Gepäck und Kleidung wurden untersucht und Überzähliges abgegeben. Dann bekamen wir unser gelbes dreieckiges Tuch und noch 40 Mark Entlassungsgeld. Darauf marschierten wir wieder nach hier zum Lager B. Von dort werden nun täglich gut tausend Mann mit Lastwagen in die Heimatkreise gefahren. Im Lager sind für die tausenden von Menschen viel zu wenig Zelte und damit nicht so viele im Regen draußen sein brauchen, liegen wir seit gestern Abend in einer in der Nähe liegenden Scheune und warten auf unseren baldigen Abmarsch in die Heimat.