Frieda Hellbernd vollendete vor einigen Wochen ihr 99. Lebensjahr

Sie erinnert sich noch sehr genau an das Kriegsende in Bakum

Frau Frieda Hellbernd, geborene Hölscher, ist nicht nur eine engagierte Lehrerin und Mutter von sieben Kindern, sondern auch eine Frau mit bewegten Erinnerungen. Ihre Kindheit und Jugend in Elmelage prägten sie nachhaltig, und besonders die Jahre des Zweiten Weltkriegs hinterließen tiefe Spuren. In einem persönlichen Bericht teilt sie ihre Erfahrungen mit aus dem Frühjahr 1945, einer Zeit des Umbruchs und der Unsicherheit.
Geboren im Jahr 1925, war Frieda zur Zeit des Krieges noch ein Kind. Die ständige Angst und die ungewisse Zukunft prägten ihren Alltag. In den letzten Kriegsmonaten war die Stimmung in der Bevölkerung angespannt, und die Nachrichten von der Front waren oft bedrückend.
Als der Krieg schließlich zu Ende ging, erlebte Frieda Hölscher eine Mischung aus Erleichterung und Trauer. „Es war ein befreiendes Gefühl, aber auch schmerzhaft, die Verwüstung zu sehen, die der Krieg hinterlassen hatte“, sagt sie
Nach ihrem Studium und ihrer Heirat mit Franz Hellbernd aus Harme widmete sich Frieda nicht nur ihrer Familie, sondern auch ihrer Berufung als Lehrerin. Ihre Leidenschaft für die Bildung und ihre Hingabe an die nächsten Generationen machten sie zu einer geschätzten Persönlichkeit in Vechta. Neben ihrer beruflichen Tätigkeit war sie viele Jahre ehrenamtlich in der Pfarrgemeinde Mara Frieden aktiv und organisierte das „Alkoholfreie Zelt“ auf dem Stoppelmarkt – eine Initiative, die auch viele junge Menschen ansprach.
Heute, im Alter von fast 99 Jahren, trifft sich Frieda Hellbernd regelmäßig mit ihren Freundinnen, um bei einer Partie Halma die Zeit zu genießen und alte Erinnerungen aufleben zu lassen.
Über ein Ereignis in der ersten Aprilwoche 1945 schrieb Frieda Hellbernd nachfolgenden Bericht.

Die Familien Hölscher im Jahre 1949. Hinten v. li. Hanni, Berta, Alfons, Frieda, Ludwig, Josef, Maria, Clemens u. Sefa, vorne v. li. Ida, die Eltern Maria geb. Klostermann und Clemens, Sefa

Kreis Vechta - In der ersten Aprilwoche 1945 waren die deutschen Soldaten abgezogen. Der Einmarsch der Engländer wurde befürchtet. Mein Vater, Clemens Hölscher in Elmelage, machte sich Sorge um seine Schwester in Düpe bei Steinfeld. Ww. Nordhus war Bäuerin, deren einziger Sohn in Russland war und lange nicht mehr geschrieben hatte. Telefonverbindungen gab es nicht mehr. Ich bot ihm an, mit dem Fahrrad nach Düpe zu fahren und Erkundigungen einzuholen. Ich wollte gleich nach dem Mittagessen losfahren und könnte vor der Dunkelheit zurück sein. Der Weg von Elmelage nach Düpe war mir bekannt, weil wir öfter meine Tante besucht hatten.
Ich war damals 19 Jahre alt und wollte im Frühjahr 1945 als Schülerin der Wirtschaftsoberschule in Freiburg i. Br. das Wirtschaftsabitur machen. Aber die Schule wurde im Herbst 1944 wegen Frontnähe vom Elsaß her geschlossen und alle Schüler und Schülerinnen zum Kriegshilfsdienst verpflichtet. Eine Fahrkarte nach Hause wurde mir bei der Bahn verweigert. Erst mit einem Schreiben der Schule, dass ich mich in der Heimat für den Kriegshilfsdienst zur Verfügung stellen würde, wurde mir eine Fahrkarte für die Heimreise gewährt.
Als Schulhelferin bekam ich eine Stelle an der Grundschule Bakum, um den Kindern das 3.und 4. Schuljahres (ohne jegliche pädagogische Vorbildung!) Kenntnisse in Deutsch, Rechnen und Religion zu vermitteln. Der Unterricht wurde immer wieder durch Fliegeralarm unterbrochen, und ab April 1945 waren alle Schulen geschlossen. Ich hatte also Zeit.
Nur ungern stimmte mein Vater meinem Vorhaben zu, weil es ihm zu gefährlich erschien; andererseits war er auch froh, auf diese Art Verbindung zu seiner Schwester zu bekommen. Ich fuhr also über Daren, Bokern, Lohne und Mühlen nach Düpe, und meine Tante war wirklich sehr froh, etwas von uns zu hören. Lange sollte mein Besuch ja nicht dauern. Ich machte mich bald auf den Heimweg, um vor der Dämmerung zurück zu sein.
Bis Bokern verlief die Radtour recht gut. Zwar hörte ich unterwegs aus der Ferne Explosionen, Schießen und Krach
wie von Sprengungen; aber ich wusste die Geräusche nicht einzuordnen und hatte auch keine Angst. Als ich aber dann in Daren ankam, gings nicht weiter. Man hatte die’ Brücke über die Aue gesprengt, um dem nachrückenden Feind das Vorwärtskommen zu erschweren. Und nun stand ich mit dem Fahrrad vor dem Wasser und konnte auf der Straße nicht weiter.
Da ich aber den Darener Wald ziemlich gut kannte – wir suchten damals oft Blaubeeren, die es zu jener Zeit in Daren reichlich gab, wusste ich, dass einige hundert Meter weiter in Richtung Vechta noch eine Fußgängerbrücke über die Aue führte. Ein Drehkreuz ermöglichte nur Fußgänger den Eintritt in den Darener Wald. So fuhr ich über den Feldweg (heute Bokerner Damm) zur Brücke, hob mein Fahrrad über das Drehkreuz und fuhr den Weg am Friedhof vorbei in Richtung Schloss Daren, um von dort auf die Straße Vechta - Bakum zu gelangen.
Bei der mächtigen Kastanie, vor der Gräfte am Eingang zum Schloss Daren hieß es plötzlich: „Halt. Stehen bleiben! Sie hören doch, dass geschossen wird!“ Etwa 10 Soldaten standen unter dem Baum und verboten mir, weiterzufahren. Ich erklärte ihnen, dass ich nur noch gut 1 km zu fahren hätte, dann sei ich zu Hause. „Wohin wollen Sie denn?“ Und als ich in Richtung Bakum deutete, hieß es: „Und genau in diese Richtung wird geschossen. Es ist lebensgefährlich, jetzt auf die Straße zu fahren. Sie bleiben hier, bis die Gefahr vorüber ist. Das ist ein dienstlicher Befehl, und dem haben Sie Folge zu leisten.“
In unregelmäßigen Abständen fielen einige Schüsse. „Sie versuchen offensichtlich, Bakum oder Westerbakum zu treffen“, hörte ich die Soldaten sagen. Dann wurde es ruhiger.
Als die Dunkelheit einsetzte, durfte ich weiterfahren. Etwas beklommen war mir dann doch zumute, als ich den letzten Kilometer zurücklegte. Zu Hause angekommen, war auch ich froh, Vater von seinen Sorgen entlastet zu sehen. Er hatte kurz zuvor gesagt: „Hätte ich sie doch nur nicht fahren lassen. Wer weiß, ob wir sie jemals wiedersehen werden.“

(geschrieben von Frieda Hellbernd - 1995)